Eintauchen.

Einen Monat Sprachschule in San Pedro, Guatemala.

Wie ich neu rechnen lernte und feststellen musste,

dass in die Hände klatschen manchmal doch nicht so leicht ist, wie es aussieht.

Und wie ein tieferes Eintauchen in eine Kultur einen neuen Blick öffnen kann.

 

Vielen Dank an Franzi von      Tales on Tyres     für dieses schöne Bild!

 

Einen Monat Pause dachte ich. Dass daraus etwas länger werden sollte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Mittlerweile bin ich schon länger vom Sattel runter. Aber dennoch will ich von diesem Monat berichten, denn er war anders als die bisherigen.

 

Aber erst nochmal zur Erklärung: Kieran und ich entschieden uns für einen vierwöchigen Sprachkurs in der Community Spanish School in San Pedro am Lake Atitlan in Guatemala. Fünf Tage die Woche hat man wahlweise vormittags oder nachmittags vier Stunden Spanisch Unterricht. Dieser findet mit einem Privatlehrer, also 1:1 und völlig individuell statt. Man hat selber die Möglichkeit zu sagen auf was man sich beim Lernen konzentrieren möchte. In dieser Zeit lebt man bei einer Maya-Familie. Dort hat man ein eigenes Zimmer sowie an sechs Tagen der Woche drei leckere Mahlzeiten inklusive. Alles in allem kosteten diese vier Wochen ca. 800 €. Definitiv teurer als meine normalen monatlichen Ausgaben, aber absolut lohnens- und empfehlenswert auch für nicht-Radreisende ;)

 

Andersartig war dieser Monat. Einerseits war es die erste längere Pause seit zehn Monaten auf dem Fahrrad. Das heißt, ich hatte für vier Wochen ein Zuhause. Ein eigenes Zimmer. Einen Platz wo ich meine Sachen ausbreiten, mich einrichten und für mich selbst sein konnte. Ich musste keinerlei Planungen für die nächsten Tage anstellen. Kein Essen kaufen, nicht kochen, konnte mich dreimal am Tag an einen gedeckten Tisch setzen. Und Kieran und ich hatten eine Familie. Es war ein bisschen wie Urlaub im Urlaub was das anging. Ich genoss es nicht selber kochen zu müssen, ein Bett zu haben und meinem Körper auch mal Ruhe zu gönnen. Und zur Schule zu gehen. Haha... Es war tatsächlich schön. Der Gedanke, dass Schule Spaß machen kann war, wenn ich so in meine Kindheit zurück blicke, nicht vorhanden. Zumindest der Gedanke etwas freiwilig lernen zu wollen. Daran merke ich, dass ich dann wohl doch irgendwie erwachsen geworden bin.

 

 

Die weitere Andersartigkeit war das Kennenlernen der Kultur. Auch wenn ich schon Monate vorher durch Mexiko usw. reiste, nahm ich Dinge plötzlich anders wahr. Auf der Baja California wurde ich das erste Mal in meinem Leben so richtig mit Tortillas konfrontiert. Hier in Kalifornien kennt man diese, ich in Deutschland hatte die nicht wirklich oft gesehen oder gegessen. Mexikanisches Essen ist bei uns einfach nicht so verbreitet. Den Unterschied zwischen Tacos, Tortillas, Burritos und Nachos hätte ich bis dato nicht erklären können. Nun kannte ich ihn. Aber dennoch wurde mir deren Wichtigkeit erst in San Pedro bewusst. Ich beobachtete Anna - meine Mutter auf Zeit, wie sie die Tortillas aus dem Teig knetete und formte. Wie sie die einzelnen Teigbällchen bearbeitete und dann mit ihren Handflächen flach klatschte. Sechs, sieben, achtmal wird geklatscht, dann gedreht, dann wieder geklatscht bis aus dem einstigem kugelförmigem Teigballen ein schöner runder Tortilla geworden ist. Der wird dann gebacken. Ich, die sich wohl als handwerklich eigentlich ganz begabt bezeichnen würde, versuchte ebenso mein Glück. Backen tue ich liebend gerne, was kann also an Tortillas formen so schwer sein. Aber der Teig war schwer zu bearbeiten. Unglaublich klebrig. Später beim Abendessen haben dann alle gelacht. Meine Tortillas waren deutlich von Annas zu unterscheiden. Und dann liefen wir. Zur Schule und zurück. Zum nächsten Shop und zum Markt. Und plötzlich hörte ich an jeder Ecke und an jedem Haus an welchem ich vorbei ging das Klatschen der Frauenhände, die die täglichen Tortillas zubereiteten. Überall und zu jeder Tageszeit. Edgar, der Familienvater, nahm uns mit in die umliegenden Berge, wo er uns sein Stück Land zeigte, auf dem Mais angebaut wird. Es war kein großes Stück Erde, aber es reicht, um seine Familie (und die Gaststudenten) für ein Jahr mit Tortillas zu versorgen. Es war wahnsinnig interessant mehr über Mais zu lernen. Ein Nahrungsmittel, welches in unseren Breitengeraden nicht mal ansatzweise dem Stellenwert hier nahe kommt. Manche Familien ernähren sich fast hauptsächlich von Mais in Form von Tortillas. Und das spiegelt sich widerrum in Geschichte der Mayas wider. Der Mais hatte eine zentrale Bedeutung. Seine vier (!) existierenden Farben weiß, gelb, rot und schwarz schmecken nicht nur anders, sondern symbolisieren auch unterschiedliche Bedeutungen in der Maya Kultur.

 

 

Die Nachmittagsaktivitäten der Schule waren ebenso interessant. Wir konnten probieren auf ganz traditionelle Weise zu Weben, wir besuchten eine kleine örtliche Schokoladenmanufaktur, wo wir zusahen und halfen aus den noch ganzen Kakaobohnen Schokolade zu gewinnen. Ich lernte eine neue Art zu rechnen ganz im Stile der Mayas, lernte über deren Medizin und trug die typische Tracht der Frauen. Mit Freunden unternahmen wir einen zweitägigen Ausflug per Pferd, campten in den Wäldern der Berge und saßen abends am Lagerfeuer. Lauschten den Klängen der Marimba, dem typischen gualtematekischem Instrument. Und ich sah Kaffeeplantagen. Als ehemalige Mitarbeiterin eines bekannten Kaffeerösters interessierte mich dies natürlich ganz besonders. In Guatemala findet man qualitativ sehr hochwertige Kaffeebohnen. Die reifen roten Kaffeekirschen werden per Hand gepflückt, was im Gegensatz zur maschinellen Erntemethode ein weiteres Qualitätsmerkmal ist. Ich betrachtete die riesigen Säcke, welche mit den roten Kirschen gefüllt waren. Später wurde nach Nachfragen erklärt wieviel ein Arbeiter hier verdient, wenn er 8-10 Stunden am Tag pflückt. 50 Quetzales. Das sind 6,40 € pro Tag. Davon kann man selbst in Guatemala kaum leben.

 

 

Deshalb werden die Dinge hier manchmal auch etwas anders gehandhabt. Gehen Sachen kaputt, werden sie repariert. Nicht immer professionell, aber alles wird irgendwie zusammen gehalten und wieder zum Laufen gebracht. Sind fünf Sitze im normalen Auto belegt, wird gestapelt. Der Bus ist erst voll, wenn soviele Menschen darin sind, dass niemand mehr atmen kann. Diese alltäglichen Improvisationen halten defintiv keinem westlichen Sicherheitsstandard stand. Aber sie funktionieren. Und schaut man sich beispielsweise nur mal den Verkehr hier an, sieht man Autos und Busse, die voll sind. Man sieht keine endlosen Autoschlangen bestehend aus riesigen Metallschiffen, in denen jeweils eine Person sitzt und niemand in den Innenstädten noch vorwärts kommt.

So wird auch improvisiert, wenn man auf einen zweitägigen Horsetrek geht. Satteltaschen? Überbewertet. Unsere Ortliebs wurden kurzerhand mit Schnüren und Schlaufen an den Sätteln befestigt. Nicht unbedingt die bequeme Variante, aber es ging irgendwie.

 

Und zu guter Letzt spielte hier natürlich auch die Sprache eine große Rolle. Auch wenn diese noch lange nicht perfekt war, konnten wir uns doch nun endlich gut genug ausdrücken, dass man tiefere Fragen stellen, erzählen und vor allem besser verstehen konnte. Wir lernten vieles über die Maya Kultur. Das Leben in San Pedro, die Geschichte Guatemalas und die Menschen und deren Gewohnheiten. Probleme in der Gesellschaft sowie Traditionen. Und wir sahen und hörten vom Alltag der Guatemalteken. Außerdem ist es spannend in eine Sprache einzutauchen. Ihre Eigenheiten kennenzulernen und zu verstehen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. So fiel es mir beispielsweise leichter einige Dinge in Deutsch zu übersetzen, andere widerrum in Englisch. Mal erschien mir jene Sprache logischer, mal die andere.

 

 

Einige Zeit an ein und demselben Ort zu verbringen gibt einem die Möglichkeit etwas anders zu betrachten und kennenzulernen. Intensiver wahrzunehmen, als wenn man nur schnell durchreist. Einzutauchen.

 

Auch wenn diese Zeit durch meine Krankheit(en) ein wenig getrübt wurde, genoss ich jeden Tag. Saugte die Kultur auf und lernte fleißig Spanisch. Fast jeden Nachmittag setzten wir uns an unsere Schreibtische und paukten. Leider merke ich schon jetzt wie die Vokabeln bereits verschwinden und die Zeitformen den Bach hinunter gehen... Aber irgendwann werde ich es wieder gebrauchen.

 

Nun genieße ich ein grünes Kalifornien. Mir geht es deutlich besser und ich entdecke meine Liebe zum Mountainbiken. Gehe joggen und praktiziere Yoga. Bin umgeben von wunderbaren Menschen. Reflektiere und lerne über mich selbst. Und denke noch nicht zuviel darüber nach, wie es danach weiter geht.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Fischers (Samstag, 22 April 2017 00:02)

    Sonnige und österliche Grüße von uns. Die Tracht steht dir hervorragend - genauso bunt wie Annas und Idas Ostereier. Wir hoffen, dass du langsam fit bist und gesund. Sei umarmt von uns.