Gegenteile (2).

Offen und Schüchtern.

Arm und Reich.

Patriarchalische Strukturen und gelebte Gleichberechtigung.

 Über die Gegenteile unserer Welt.

Und etwas, was überall gleich nervt.

 

(Teil 2)

 

 

(Die Fotos stammen alle von den Lofoten)

Danke an Peter für ein paar der Fotos!

 

Kalt und Warm. Im letzten Blogeintrag sprach ich von Temperatur und Klima Unterschieden. Diese haben vielleicht auch einen Einfluss auf die Mentalität der Menschen? Bekanntlich sind die Menschen des Südens offener und lachen mehr. Denken wir nur an Italiener, Spanier und Franzosen. Die Nordlichter etwas verschlossener. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Ich kam aus Kalifornien nach Norwegen geflogen, war vorher in Guatemala und Mexiko. Und die Unterschiede könnten wohl nicht krasser sein. In der USA kommt man sowieso leichter mit Fremden ins Gespräch. Ein 'How ist it going?' liegt jedem auf den Lippen. Dort sprach uns so gut wie jeder auf die beladenen Räder an. Vor allem in Städten, wenn das Fahrrad neben einem stand wurde man immer in Gespräche verwickelt. Wo kommst du her, wo geht es hin, wieviele Kilometer, wo schlaft ihr etc. Manchmal war es fast schon nervig. Zu dritt unterwegs auf den Rädern lachten wir uns manchmal gegenseitig an, zwinkerten uns zu und gaben Signale: 'Du bist dran mit Antworten und zur Rede stehen haha'. Teilweise wollten wir einfach nur in Ruhe essen, kamen aber nicht dazu. Oder einfach mal im Cafe abhängen und das WIFI nutzen. In Mexiko, speziell auf der Baja California, wurden wir angehupt. Uns wurde so oft aus den Autos zugewunken, dass ich beim hochwärts fahren kaum meinen Lenker halten konnte, da ich stets versuchte zurück zu winken. Auch dort wurden wir ständig angesprochen. Sogar in den gualtemaltekischen Maya Dörfern, wo die Menschen sonst sehr schüchtern waren, lachten mich vor allem Frauen an, sehr zur Enttäuschung meines damaligen Reisepartners Kieran. Er bekam kein Lächeln von weiblicher Seite. Dies wäre aus deren kultureller Sicht unangebracht gewesen. Ganz zu schweigen von den Kindern in den kleinen Dörfern Mittelamerikas. 'Gringo' und 'Gringa' schrien sie laut und rannten uns entgegen. Ursprünglich mal eher ein unschönes Wort für die 'weißen Amerikaner' wird es heute aber meist nicht mehr im negativen Kontext benutzt. Die Kinder blieben am Straßenrand stehen, streckten uns für eine HighFive ihre Hände entgegen und strahlten um die Wette. Kleine Jungen, vielleicht 8-12 Jahre alt trugen kiloschweres Holz auf dem Rücken die Berge hinab, ihnen rannte der Schweiß von der Stirn, aber sie freuten sich tierisch, wenn sie uns sahen. Die Mädchen balancierten Wasserkrüge auf ihren Köpfen und sahen uns mit großen Augen an. Nicht selten bekamen wir Einladungen von Menschen, denen wir zufällig über den Weg liefen. Ob wir einen Schlafplatz bräuchten? Oder nur unsere Frage nach der nächst gelegenen Campingmöglichkeit zog eine Einladung nach sich.

Hier ist das etwas anders. Wenn ich mir unbekannte Menschen anlache erkenne ich für eine Viertel- oder Halbesekunde Überraschung in den Augen und im Ausdruck. Erschrockenheit. Ungewohntheit. Dann kommt vielleicht ein Lächeln zurück. Nicht immer. Manchmal wird scheu oder verwirrt weg geschaut. Selten sind sie es, die zuerst lachen. Obwohl ich oft meine Neugierde in den Blicken zu erkennen. Ich spüre wie sie schauen, aber sobald ich offen zurück gucke wird der Kopf weg gedreht. Norweger und Schweden erscheinen verschlossener und schüchtern. Radreisende sind hier natürlich auch nichts besonderes. Gerade an der norwegischen Küste gibts Hunderte von uns. Aber es geht ja auch nicht ums 'besonders sein'. Auf dem Pacific Coast Trail der USA sind Radreisende keine Seltenheit und dennoch gab es diese kleinen Begegnungen, die kurzen Gespräche, den Daumen die man gezeigt bekommt, wenn man die Ansteigungen hoch fährt. Das Lachen auf den Gesichtern. Das motiviert, das macht Spaß und erfreut mich. Ich bin ein offener Mensch, interessiert an Begegnungen und gehe gerne lachend durch die Welt. Ich glaube die Menschen hier brauchen etwas mehr Zeit zum Auftauen. Gibt man ihnen etwas Zeit, sind die Menschen hier warmherzig und offen. Liebe und hilfsbereite Menschen. Ich bin mal wieder dankbar für Netzwerke wie Couchsurfing und Warmshowers. Sie erleichtern das in Kontakt Treten mit Menschen, sodass ich nicht komplett alleine bin.

 

 

Wo es kein Winken und kein Grüßen auf der Straße gibt, da gibt es aber auch kein Pfeifen. Keine Kusshände, die mir zugeworfen werden. Keine internationalen und sehr offensichtliche Gesten, die ich versuche zu übersehen. Keine Kommentare, die ich mit meinen wenigen Spanischkenntnissen zum Glück nicht verstehe. Im Nachhinein bin ich froh, durch Mexiko, Belize und Guatemala nicht alleine gereist zu sein. Denn es war teilweise doch sehr nervig. Die blonden Haare machten die Sache wohl auch nicht leichter. Selbst wenn Kieran oder Jesse einen Meter vor oder hinter mir mit ihrem Rad fuhren, flogen Luftküsse zu mir. Als ich mal wieder krank und so geschwächt war, dass ich nicht mehr Laufen konnte und per Taxi zum Krankenhaus fuhr, versuchte mich der Taxifahrer zu überreden seinen Sohn zu heiraten. Zeigte mir immer wieder sein Foto. So etwas passierte nicht nur einmal. Ich nahm es mit Humor. Abgesehen von Ausnahmen in der Bildungsschicht, üben Frauen in Mittelamerika noch typisch traditionelle Rollen aus. Sie stehen kochend am Herd und haben sich um die Kinder zu kümmern. Die Frau setzt sich als letzte an den Tisch während die anderen schon fast fertig sind mit Essen. Ich wurde oft gefragt, warum ich denn mit fast 30 noch nicht verheiratet wäre? Mitleidig wurde ich angeschaut.

Hier in Skandinavien spüre ich eine Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Ich glaube sie sogar stärker als in Deutschland wahrzunehmen. Aber vielleicht sind das auch die Statistiken, die in meinem Kopf umher spuken und mich dies glauben machen. Ich bekomme nicht ständig die Frage 'Du machst als Frau eine Radreise?' zu hören. 'Ihr zwei Frauen radelt alleine?' Wie oft habe ich, bzw. wir solche Kommentare gehört. In der USA wie auch in Mexiko. Hier in Norwegen und Schweden hörte das auf. Zum Glück.

 

 

Ist es nicht auch komisch, dass gerade in den armen Ländern die Gastfreundlichkeit und die Bereitschaft zu teilen meist sehr hoch ist? Ich möchte nicht sagen, dass wir in den entwickelten Industrienationen nicht gastfreundlich sind. Aber meine Erfahrungen decken sich mit denen anderer. In vielen armen Ländern erscheint es intensiver. Vielleicht wirkt es aber auch nur so. Von einer Person eingeladen zu werden, die selbst wenig hat, fühlt sich eben krasser an.

In Mexiko und Mittelamerika durften wir in Häusern und Hütten nächtigen, die kein fließend Wasser hatten. Anstatt sich unter eine Dusche zu stellen, haben wir uns mit Plastikbechern aus der Regentonne nass gemacht. Gekocht wurde auf befeuerten Herden. Teilen ist ein wesentlicher Part des Lebens und der Kultur. Dies sind nur Beispiele.

Vor allem in Norwegen hingegen ist der Wohlstand überall ersichtlich. Sei es in der allgemeinen Infrastruktur (zb. werden kleinste Dörfer durch einen vier kilometerlangem Tunnel mit der Hauptstraße verbunden) oder auch in der privaten Sphäre. Fast jeder besitzt eine (oder auch zwei) Hütten bzw. Wochenendhäuser in der Natur. Was war es denn nun, dass Norwegen so reich machte? Die Fischerei oder das Öl? Auf Nachfragen bekam ich unterschiedliche Antworten.

 

Auch wenn ich durch meine dreimonatige Pause in Kalifornien glaubte den Kultuschock bereits verarbeitet zu haben, erwischte er mich dennoch. Über ein halbes Jahr verbrachte ich in Mexiko, Belize und Guatemala. Diese Zeit prägte mich sehr. Daher habe ich wohl all diese Unterschiede sehr stark wahr genommen.

 

Eine Sache bleibt überall gleich. Egal ob in der USA, Mexiko oder hier in Schweden. Ihr Gesumme ist keine Musik in meinen Ohren. Fairerweise muss man sagen, dass sie hier zumindest nicht gefährlich sind. Kein Malaria, kein Dengue und kein Zika kann übertragen werden. Aber sie sind überall gleich nervig: Mücken.

 

 

Du liest diesen Blog gerne und möchtest mich unterstützen? Hilf mir hier!

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0