Tiefpunkt.

Mir laufen heiße Tränen über die Wange.

Meine Gedanken spielen Achterbahn.

Und ich weiß nicht mehr weiter. Bin verzweifelt. Und an einem Tiefpunkt angelangt.

 

 

Nachdem wir es nach mehreren Anläufen endlich nach Belize geschafft hatten, verbrachten wir dort ein paar Tage. Belize fühlte sich merklich anders als Mexiko an. Es gleicht einem kulturellem Meltingpot und es ist erstaunlich sowie schön zu sehen wie die verschiedenen Ethnien hier friedlich nebeneinander leben. Dennoch vemisste ich etwas. Eine gewisse Wärme und Herzlichkeit. Eine ehrliche Freundlichkeit, die ich in Mexiko erfuhr. Ehrlicherweise muss man natürlich auch sagen, dass wir nicht viel Zeit dort verbrachten. Das Land ist weder groß noch bergig, sodass man es schnell duchradeln kann.

 

Guatemala ähnelt wieder mehr Mexiko. Lateinamerikanische Kultur aus dem Buche. Wir bestaunten noch mehr Ruinen, kleinere und abgelegenere sowie die große Perle 'Tikal'. Jede ärchäologische Fundstätte besitzt etwas eigenes. Alle zusammen formen für mich mittlerweile ein komplexes Bild der Geschichte der Mayas.

Wir fuhren durchs Tiefland im Norden und arbeiteten uns ins Hochland vor. Dabei nahmen wir wieder einmal die etwas weniger befahrenen Straßen und Touren. Sie führten uns durch zahlreiche indigene Dörfer und je weiter wir nach Süden kamen, deso hügliger wurde es endlich wieder. Viele Kinder rannten uns in den kleinen Dörfern entgegen, lachten uns an und riefen Eltern herbei. Wir zelteten an einem Dorf Fluss und waren mal wieder Mittelpunkt allgemeiner Aufmerksamkeit. Zelte, Bikes und vor allem der Kocher wurde von den Frauen bestaunt. Diese fragten mich, was ich denn Kochen würde und standen während der gesamten Prozession neben mir.

Die Menschen dort leben sehr einfach. Weder fließend Wasser noch eine richtige Toilette. Wäsche sowie sich selbst wäscht man im Fluss. Kinder und Frauen holen das Wasser aus dem Fluss, transportieren es auf dem Kopf tragend nach Hause, während die Männer schweres Holz mittels eines Stirnbandes tragen. Gebückt und mit Schweißperlen auf der Stirn quälen sie sich die Hügel hinauf. Selbst kleine Jungs von vielleicht zehn Jahren tragen diese Lasten. Und dennoch geht die Sonne in ihren Gesichtern auf wenn sie uns sehen. Sie winken und strahlen uns mit großen neugierigen Augen an. Und ich frage mich mal wieder, was in unserer Welt falsch läuft, wenn sich Kinder bei uns beschweren, dass sie nur acht anstatt der gewünschten zehn neuen Plastikspielsachen zu Weihnachten bekommen.

 

 

Nach ein paar wirklich hart erkämpften Steigungen kommen wir nach ein paar Tagen in Antigua an. Dort treffen wir auf einige andere Reiseradler und verbringen ein paar gechillte Tage. Mehr oder weniger gezwungen. Denn ich bin schon wieder krank. Vor einer Woche begann es und wurde mal wieder von Tag zu Tag schlimmer. Bis ich mal wieder einsehe: Es ist Zeit für einen Arzt. Dieser diagnostizierte erneut eine Entzündung sowie Parasiten und es folgen Antibiotika. Ja - erneut. Seit Monaten lieben mich Amöben. Und die Amöbenruhr ist eine ernst zu nehmende Krankheit, wie ich mittlerweile weiß. Ich schrieb schon mehrmals darüber, aber die Kurzfassung ist folgende: Ich nahm nach etlichen unterschiedlichen (oder doch immer noch derselben?) Krankheiten sehr oft Antibiotika. Immer wieder kam es wieder bzw. zu einer Neuansteckung. Scheinbar geriet ich in einen Kreislauf; je öfter ich Antibiotika nahm, desto öfter wurde ich krank. Bei den meisten Touristen geben sich Essensunverträglichkeiten nach ein-zwei Tagen, bei mir wurde es von Tag zu Tag schlimmer.

 

Nach ein paar Tagen war ich wieder fit genug um die weitere Reise anzutreten. Es geht nach San Pedro am Lake Atitlan. Dort lernen wir gerade für vier Wochen in einer Schule Spanisch. Die Community Spanish School ist sehr zu empfehlen! Man wohnt bei einer Maya Famillie, isst mit ihnen, lernt und sieht deren Leben, Sitten und übt auch nachmittags noch Spanisch, nachdem man vormittags mit einem Privatlehrer büffelt. Auch wenn es etwas teurer als meine normalen monatigen Ausgaben ist, lohnt es sich. Mein Spanisch, was ich mithilfe von Pocasts und einem Buch notdurftig zusammen kratzte, reichte aus um die wichtigen Dinge zu klären, aber gut war es nicht. Ebenso genieße ich es gerade sehr, nach zehn Monaten von Körper- zu Kopfarbeit zu wechseln und mal eine längere Pause zu haben. Und was gibt es schöneres, als offen durch die Welt zu reisen und neue Dinge lernen zu können?

 

 

Dort angekommen ging es mir wieder super gut und ich kann nach sieben Tagen meine Medikamente absetzen.

 

Drei Tage später geht es wieder los. Rummeln im Bauch, leichte Krämpfe; nichts schlimmes, aber genug um mich schlaflos sein zu lassen. Ich falle in ein Loch. Es ist tief. Und will nicht enden. Ich realisiere: Es beginnt erneut.

Den Tag bringe ich noch irgendwie hinter mich, aber abends kann ich nicht mehr stark sein. Als ich probiere meine Familie und Freunde anzurufen, muss ich abbrechen. Meine Stimme bricht weg. Die Tränen laufen mir heiß die Wangen hinunter. Ich liege im Bett und beginne zu schluchzen, aus ein paar lautlosen Tränen wird ein Wasserfall der Emotionen. Es kann so nicht mehr weiter gehen. Ich bin verzweifelt. Weiß nicht, was in meinem Körper schief läuft. Weiß nicht was ich tun soll.

 

Ich laufe durch die Straßen, sehe das Marktgetummel und die Menschen. Die bunten Trachten, die langen dunklen Haare der Frauen, die leuchtenden Augen, Kinder die spielen, die offenen und freundlichen Gesichter. Und mir kommen erneut die Tänen. Ich kann sie kaum unterdrücken. Ich will nicht weg. Noch nicht jetzt. Vor vier Jahren lernte ich die lateinamerikanische Kultur zum ersten Mal in Bolivien kennen und mir wird klar, dass ich sie lieben gelernt habe. Ich möchte sie noch weiterhin aufsaugen und genießen. Die Sprache erlernen. Ich möchte wieder auf mein Rad. Und Berge schwitzend erkämpfen sowie Abfahrten genießen. Die Weiten Südamerikas entdecken. Und vor allem möchte ich selbst entscheiden, wann ich genug habe vom Reisen.

 

Mehrere Tage fühle ich mich echt scheiße. Nicht körperlich. Es ist der Geist, welcher an einem absoluten Tiefpunkt angelangt ist. Ich spiele die Optionen durch: Zurück nach Deutschland oder in die USA fliegen um dort ein ordentliches Gesundheitssytem ohne Sprachbarriere zur Verfügung zu haben? Dann zurück nach Guatemala? Oder in der USA oder Europa touren, wo ich hoffentlich nicht ständig wieder Parasiten oder Entzündungen einsammle? Alles in mir wehrt sich. Es wären Optionen, aber eben nicht das was ich will. Ich will nicht NUR Fahrrad fahren, ich will HIER Fahrrad fahren. Andererseits weiß ich, dass krank weitermachen keine Option ist. Das gefährdet nicht nur meine Gesundheit, sondern bringt auch nichts.

 

 

Dann höre ich Sprachnachrichten von meinem Vater. Er ist selbst Arzt, rief dazu noch ein deutsches Tropeninstitut an und berichtete von meinem Fall. Ich hätte wahrscheinlich die falschen Antibiotika und Medikamente bekommen, sagt er. Die Eier der Amöbe haben eventuell alles überlebt, sodass ich sie schon ewig mit mir herum schleppe und daher immer wieder krank werde. Also wieder zum Arzt. Dieser nimmt mich jedoch tatsächlich mal ernst. Ein Blut- und Stuhltest später habe ich es schwarz auf weiß: Ich trage tatsächlich die Eier in mir. Und nun bekomme ich ein weiteres Antibiotikum. Ein Kombipräparat, welches auch die Eier tötet. Alles erscheint auf einmal logisch.

 

Hoffnung und Freude keimt in mir. Eine gewisse Restskepsis verbleibt. Was wenn ich mich trotzdem erneut anstecke? Ich einfach kein gutes Immunsystem (mehr) im Magen-Darm-Trakt habe. Ich rede mit mir selbst: Okay, noch dieses eine Mal Antibiotikum. Kommt es erneut, dann werde ich tatsächlich Konsequezen ziehen müssen. Denn meine Gesundheit dauerhaft zu riskieren ist es nicht wert.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Nina Fischer (Mittwoch, 01 März 2017 19:21)

    Liebe Anna,

    was eine Amöbenruhr bedeutet, kann ich gut nachempfinden. Die Dinger gibt es auch in Zentralafrika und machen einen sehr müde und schlapp. Ich hoffe, dass du ein gutes Medikament bekommen hast, ich kann mich an meins nicht mehr erinnern - es hatte gut geholfen. Allerdings hatte ich danach/ daneben noch Hefebakterien (yeast) im Magen, die sich durch die Antibiotika erstmal ausbreiten (weniger Konkurrenz im Magen) und danach auch nochmal behandelt werden müssen, mit Kohletabletten. Die machen Durchfall. Also alles wird gut, wir schicken dir gute Besserung und viel Energie und Talent zum Erlernen der spanischen Sprache, immer genügend Geld, immer die richtigen Leute im Umfeld und das du deinen Reisehunger richtig stillen kann - bevor es dich wieder in die Heimat treibt.

    Sei umarmt von uns vier - einhalb (ein Tobi und seine dreieinhalb Mädels ;-)