Abrechnung mit Mexiko.

Opfergaben ganz im Stile der Maya, türkisfarbenes Wasser und warum Mexiko surrealistisch sein kann.

 

 

Yucatan. Eeeeendlich flach. Wir machen Sprünge und brechen neue Rekorde in den täglichen Kilometerzahlen. Die Landschaft hat wenig Variation, aber das stört mich nicht im geringsten. Viele finden Yucatan zum Radeln zu langweilig. Für mich ist es irgendwie eine schöne Abwechslung nach all dem Gegucke und Geklettere einfach mal nur dahin zu radeln. Meist auf backroads, sodass wir ganz alleine sind. Und ich fange an zu träumen, finde Ruhe, die Gedanken fließen und mir kommen Ideen. Ich singe sobald ich genügend Abstand zum Mitreisenden habe (ich hoffe immer inständig, dass kein Mexikaner irgendwo im Gebüsch hockt und dies mit an hören muss) oder versuche mich weiterhin im Spanisch lernen per Podcast. Und irgendwie fühlt man sich auch belohnt, nach all dem rauf und runter des Hochlandes. Aber zu früh gefreut. Schweißtreibende Kletterpartien werden abgelöst durch schmerzende Hintern. Aber so richtig. Nach 4 Tagen kilometerschruppen muss eine Pause her. Jesse und ich können kaum noch laufen und wollen unser Essen am liebsten im Stehen zu uns nehmen. Wo Auf- und Abfahrten Variation in den Sitzwinkeln bringen, ist das Fahren im Flachen eintönig für die Sitzposition. Wieder einmal frage ich mich, wie das die Reiseradler machen, die doppelt so viel am Tag fahren?

 

Aber wir wollen auch nicht den ganzen Tag radeln. Dazu gibts zuviele Cenotes zu entdecken. Kalksteinlöcher gefüllt mit türkisfarbenem kristallklarem Wasser. Erfrischend kühl und eines ist schöner als das andere. Unsere tägliche Route beinhaltete immer mindestens zwei Cenote-Stops. Ich fand diese fast spannender als die Karibik Strände.

Und dann gibts ja auch noch die Ruinen. Und die verzauberten mich schon sehr. Jede hatte etwas anderes Einzigartiges. Die kleineren und weniger restaurierten waren noch stärker zugänglich und erkletterbar. Das lud zu spontanen Ausprobieren des Opfertisches ein. Uxmal als größere Ruine strahlte auf mich eine starke Erhabenheit aus. Nach einem spontanen Tänzchen mit einem der renommiertesten Maya-Archäologen inklusive Publikum lud der uns noch zum gemeinsamen Sandwich ein. Ich konnte brennende Fragen loswerden. Und dann sollte DIE  Ruine schlechthin kommen.

 

 

Chitchen Itza. Eines der modernen sieben Weltwunder. Die Touristen Massen nerven mich. Gleichzeitig faszinieren sie. Wo kommen die nur alle her und vor allem: Wo befinden sich diese Massen, wenn sie nicht hier sind? Vermutlich in einem der vielen Hotel Areale um Cancun, Playa del Carmen und Tulum. Ich bekomme Mitgefühl für sie. Sie tun mir leid. Reisen nach Hause und erzählen von Mexiko? Welches Mexiko? Dass der weißen Strände, der tollen Hotelanlage, der majestätischen Ruinen. Vermutlich berichten sie von einem anderen Mexiko als der durchschnittliche Mexikaner es tun wird. Und dabei geht ihnen so viel verloren. Auch wenn das nicht immer bilderbuchschön ist. Aber es ist authentisch. Auch ein Individualreisender kann sich kein endgültiges Urteil erlauben. So erlebt auch er keinen wirklichen Alltag, verweilt nicht für lange Zeit an einem Ort, geht nicht arbeiten. Aber doch sieht er mehr, lernt wohl mehr kennen, als der durchschnittliche Pauschalurlauber. Sieht jener überhaupt die Hunderte von Mexikanern die täglich schwere Karren vollgeladen mit Souvenirs kilometerlang in die Ruinenanlage schleppen, um dann täglich aufs neue ihre Stände aufzubauen, in mühevoller Kleinarbeit die Masken, Schmuckstücke, Anhänger, Magnete und co. aufzureihen? Sie verpassen das Mexiko, wo Kinder schweres Holz mittels Stirntrageband schleppen, wo noch auf der Feuerstelle gekocht und aus Plastikeimern geduscht wird, wo für einen geringen Lohn gearbeitet wird. Und das schlimmste: Sie verpassen die Menschlichkeit. Die Mitmenschlichkeit, die einem entgegengebracht wird, wenn man nach einem Campingplatz fragt und der Befragte dich sofort zu sich nach Hause einlädt. Das fröhliche breite Lachen. Die strahlenden Augen.

 

Mir wandern diese Gedanken durch den Kopf und zwei Stunden später fahren wir an einer Hotelanlage vorbei. Und das ist wirklich so passiert. Plötzlich höre ich durch den Lautsprecher Deutsch. Ich halte an um dem Moderator und seinen bestimmt 100 Zuhörern zu lauschen:

 

Wie toll, dass wir heute Chitchen Itza sehen konnten. Ich meine - na klar, wir alle genossen die tollen zwei Wochen am Strand, aber das war eine nette Abwechslung. Die Fahrt hat sich doch gelohnt. Jetzt haben wir das wahre Mexiko kennengelernt. Wir können nach Hause fliegen und erzählen, wir kennen Mexiko."

 

 

Tulum. Möchtegern Hippie-Stadt. Oder sagen wir Hippie-Feeling, aber bitte mit Luxus. Neben unzähligen Yoga-Resorts, gibt es Yoga-Getränke, Yoga-Essen, Yoga-Bars, Yoga-Elektro-Parties und Yoga-Aventures zum buchen. So mit Zipline Touren und allerhand anderen Adrenalin Geschichten. Auch wenn ich mich nicht als Yogi bezeichnen würde, weiß ich doch, dass Yoga damit nichts mehr zu tun hat. Aber verkauft sich scheinbar besser. Aber zugegeben, hätte man mir ne Woche in so nem Resort geschenkt, hätte ich wohl nicht verneint.

Nach dem halbgroßen Schock in dortiger Stadt (das sollte angeblich noch die entspannte Stadt sein an der 'Riviera Maya') fanden wir dann nach endlosen Resorts einen Campground, auf dem wir fürs Zelten mehr zahlten als in den meisten Hotels bis her. Und das hieß wortwörtlich Zelt an Zelt zelten. Schnellstens weg. Über halb aufgeweichte Dirtroads in das nächste verträumte Anglerdörfchen, wo sich wenige Touristen hin verirren. Dort verbrachten wir Weihnachten mit einer tollen Truppe (inkl. Anna + Michael, mit denen ich ja schon zusammen fuhr) und Kieran, dem Australier mit dem ich schon mit Jesse zusammen reiste. Aber dazu beim nächsten Mal Fotos.

 

Mexiko geht dem Ende zu. Das lädt zu Überlegungen ein:

Thema Sichherheit. Reflektiert betrachtet, habe ich mich in der USA teilweise unsicherer gefühlt. Das mag für den einen oder anderen absurd klingen, ist aber meine subjektive Meinung und auch die anderer Biketourer in meinem Umkreis. Es gab nicht einen Moment hier in Mexiko, in welchem ich mich bedroht oder ängstlich fühlte. Ganz im Gegensatz zur USA. Ich will jetzt keine Diskussion lostreten, aber die ganze 'Waffen'-Thematik kennt man ja. Fragen wie 'WIEVIELE Waffen tragt ihr mit euch rum?' brachten uns zum Nachdenken. Dazu kamen auf Waldstücken und Wiesen etlichen Schilder mit Besitzanzeigen, deren Regel-Verletzungen stark geahndet werden. Eines Abends campten wir in einem solchem Stück Wald, weil wir einfach nichts anderes finden konnten. Und wir fühlten uns unwohl.

Im Gegensatz dazu campten wir befreit unter Sternenhimmel in Mexiko. Oder neben kleinen Restaurants. Oder auch mitten auf dem zentralen Platz eines abgelegenen kleinen Dörfchens. Wir wurden eingeladen dort zu nächtigen. Abends kamen die Kinder des Dorfes und bespähten uns. Die Jungs (leider) ganz klassisch zu Jesse und Kieran - die Mädels zu mir. Für die nächsten zwei Stunden konnten wir keinen Schritt ohne Beobachtung tun. Zuerst wurde nur scheu geguckt - aber irgendwann wurden die öffentlichen Toiletten gezeigt, Kieran spielte Baseball mit ein paar der Jungs und die Mädels bestaunten meine blonden Haare und unser Zelt . Sowas hatten sie noch nie gesehen. Als wir es fertig errichteten wurde Beifall geklatscht und alle wollten drinnen Platz nehmen. Am nächsten Morgen kam der Bürgermeister persönlich und lud uns zusammen mit seiner Familie zum Frühstück ein. Unsere Zelte standen offen und inklusive unserer kompletten verteilten Ausrüstung mitten auf dem Platz.

Natürlich weiß ich um die Kriminalität in Mexiko. Aber mitbekommen habe ich davon zum Glück nichts. Und darüber könnte ich jetzt ausschweifend meine Meinung kund tun. Aber nicht jetzt. Ich fand freundliche, unglaublich hilfsbereite Menschen. Menschen, die wie selbstverständlich teilen und gastfreundlich sind. Die einen anlachen, strahlen und Geben. Auch wenn sie selbst nicht immer viel zum Geben haben.

 

Danke an Kieran für das 3., 5., 12. and 17. Bild

 

Was ist typisch mexikanisch?

Hier wieder zuerst die Antworten anderer.

  • Essen im allgemeinen. Tacos. Guacamole. Mole. Und Salsas in allen Schärfegraden.
  • Salz und Limonen. Das kommt überall drauf. Egal ob in Bier, Tequila oder Tacos.
  • Familie. Hat den höchsten Stellenwert.
  • Teilen. Auch wenn man wenig hat.
  • Kakteen
  • Der Reichtum und die Fülle der Natur.
  • Sombreros
  • Folkloristische Kleidung und Tänze
  • Monarchfalter
  • Tequila und Mezcal
  • Maya und Azteken
  • Sich über die eigene Regierung beschweren, es aber auch nicht besser machen.

Meine Antworten:

  • Frida Kahlo
  • Catrinas und die 'Dias de los muertos'
  • Farben. Überall und in allen Nuancen. Pastell bis grell. Ich liebe es. Lebensfreude spiegelt sich überall wider.

 

Die Antwort eines Warmshower Hosts in Guadalajara verstand ich anfangs nicht ganz. Mexiko sei surrealistisch, meinte er. Ich bat ihn um Erklärung. Er gab mir zur Antwort, dass ich es bald selber sehen werde. Und er behielt Recht. Es ist nicht das Traumhafte und Unbewusste gemeint, welches in der surrealistischen Kunstrichtung Gebrauch findet. Eher das Paradoxe und Absurde.

Als ich an der Kasse eines großen 'westlichen' Supermarktes bezahlte, lehnte ich mal wieder das Einpacken in Plastiktüten ab. Das wird schon meist nicht verstanden. Und ich frage mich immer ob es an meinem Spanisch liegt oder daran, dass es dies schlichtweg einfach keiner macht. Ich nahm die drei, vier Sachen auf meinen Arm und wollte hinaus spazieren als sich plötzlich drei Sicherheitsleute fast auf mich warfen. Sie glaubten ich hätte geklaut, da ich keine Plastiktüten hatte.

Ein weiteres Absurdum: Der Müll. Überall und in großen Bergen. Man lässt alles fallen oder wirft es über die Schulter. Müllentsorgung heißt leider allzu oft es in den nahe gelegenen Wald fahren und abzuladen. Aber wenn es um den Bürgersteig vor dem eigenen kleinen Laden geht, wird gewienert. Mit Schrubber und Chemikalien wird täglich geputzt. Stundenlang. Oder der Vorgarten täglich mit Harke von Blättern befreit und saubere Striche gezogen. Da frage ich mich schon manchmal, wie weit hier gedacht wird.

 

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