Wir sind Warmduscher.

 

 

Ja, wir geben es zu - wir sind Warmduscher. Nicht jede Nacht, aber ab und zu. Was wären wir nur ohne sie? Einsam?

 

Abgesehen von dem durch die hohe Umgebungstemperatur stets warmen (Dusch)wasser auf der Baja California, rede ich nicht von der klassischen Dusche sondern von einer Internet Community namens www.warmshowers.org. Sie definiert sich selbst als Gemeinschaft für Radreisende und Gastgeber. Ähnlich wie Couchsurfing basiert sie auf dem Konzept des Gebens und Nehmens. Eine so genannte 'sharing-community'. Sharing communities allgemein sind großartige Konzepte, die in den letzten Jahren großes Wachstum erfahren haben und laut etlicher Zukunftsforscher noch weiter wachsen werden.

Warmshowers konzentriert sich hier eben auf Radreisende: Bin ich zuhause, kann ich anderen eine Unterkunft bieten; bin ich auf Reise, kann ich bei anderen nächtigen. Natürlich ist es weitaus mehr. Man könnte fast sagen es ist ein großer Kreis Gleichgesinnter, von Menschen die ähnlich ticken, von Freunden. Da fast alle selbst Radreisen gemacht haben, wissen die Gastgeber, die sogenannten 'Hosts' was man braucht: Ein Platz zum Schlafen (egal ob ein Bett oder ein Stückchen Wiese im Garten für das Zelt) und eine Dusche. Vielleicht noch ein Tag zum Ausruhen, nette Gespräche, wertvolle Tips zur weiteren Routenplanung oder einfach nur gemeinsames Ausgehen, Unternehmungen etc. Unsere Räder werden begutachtet, eingestellt, andere Dinge organisiert. Einem wird mit allem geholfen.

 

Was man dadurch erlebt ist durch kein *****-Hotel aufzuheben. Man lernt die unterschiedlichsten Menschen kennen. Selbstständige. Ex-Marines. Ein Autor. Einen ehemaligen leicht-Kriminellen - nun der liebste Familienvater. Make-up-Artist. Firmenvorstände. Eine arme Familie mit behindertem Kind. Fahrradclubgründer. Und diese Liste wäre beliebig fortzusetzen. Gemeinsames Kochen, austauschen, erleben und lachen macht meine Reise wertvoller als alles andere. Freundschaften entstehen. Und es ist eine tolle Erfahrung zu erleben, dass Menschen Geben ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten. Vermutlich sieht man sich nie wieder (obwohl ich mir das bei vielen wünschen würde) und dennoch tun sie soviel für einen. Eine Gabe, die in unseren heutigen Gesellschaft und Zeit leider nicht mehr so oft zu finden ist. Aber vielleicht wieder entsteht?

Dieses Gefühl, kann uns keiner mehr nehmen. Ein wunderbares. Und Herzerwärmendes. Und scheinbar lässt genau dieses Gefühl etwas entstehen. Den Drang es weiterzugeben. So hatten wir 'warmshower'-Erfahrungen, wo unser Host soviele tolle Erfahrungen als Gast hatte, dass er es kaum erwarten konnte uns wiederrum als seine ersten Gäste zu empfangen, uns zum Essen auszuführen und Gutes zu tun. Um der Gesellschaft, der community, anderen Menschen das wiederzugeben, was er selbst erfahren durfte.

Dabei gibt es auch warmshower-Hosts die selbst nichts mit dem Fahrrad und dem Reisen am Hut haben. Einige tun dies einfach um andere Menschen kennen zu lernen. Oder sogar für ihre Kinder. Damit diese mit anderen Kulturen und Denkweisen im eigenen Haus aufwachsen sowie damit konfrontiert werden. Oder weil sie eigene Kinder haben, die gerade irgendwo auf der Welt auf dem Sattel hocken und somit das Gute zurück Geben wollen, was ihren eigenen Kindern widerfährt.

 

Und natürlich versuchen auch wir zurück zu geben. Finanziell muss das nicht immer gleich aufzuwiegen sein. Aber man kann Kochen. Backen. Geschichten erzählen. Routentips geben. Kinder hüten. Oder Putzen ;) Abgesehen von unserem eigenen Abwasch einfach mal den Rest der Küche für 10 min säubern. Nicht selten bekamen wir daraufhin die Einladung doch bitte noch länger zu bleiben...

 

Und dann gibt es noch die spontanen Engel. Die an der Ampel neben einem im Auto hupen, man eine Unterhaltung durchs Fenster beginnt und daraufhin spontan dem Auto hinterher fährt und seine Unterkunft gefunden hat. Oder die einem Erscheinen, wenn man völlig durchgeschwitzt Mittagspause macht. Einen anlachen und fragen, ob man im leerstehenden Nachbarhaus nächtigen möchte?

 

--> 'PARADISE FOUND'

 

1. & 2. picture from Anna & Michael

 

Und die Geschichten.

Der ältere Mann auf dem Rennrad. Man kennt sich kaum. Und plötzlich schüttet er sein Herz aus. Wie er es bereut sein Leben lang nur an Karriere und Geld gedacht zu haben. Erst vor einiger Zeit die Augen geöffnet bekam, als sein Arzt ihm sagt er müsse dringend was für sein Herz tun. Er uns mit großen Augen anschaut und nicht oft genug sagen kann, wie toll und inspirierend er diese Reise findet.

Eine Familie, die ein Traumanwesen besitzt. Weil der Vater einen Todkranken bis zu seinem Ende pflegte und dieser dann überraschenderweise das Anwesen an ihn vererbte. Nun möchten sie dieses teilen und lassen Reisende wie uns immer mal wieder dort nächtigen.

Ein älterer Mann der neben uns im Cafe sitzt und erklärt, dass er eine völlige Macke hat. Er liebt es die fahrenden Räder eines Fahrrads anzuschauen, wie sie im Licht blitzen und die Speichen in der Geschwindigkeit verlaufen... Das ist der einzige Grund den er am Radfahren nicht mag, so kann er seine eigenen Räder nicht sehen.

Ein 65jähriger, der kaum Geld hat und auf einem klapprigen "Baumarkt"-Fahrrad den Pacific Coast Trail fährt und bis Belize kommen möchte.

Junge radreisende Männer, die ständig anhalten, um die nächste Pfeife oder Bong zu stopfen. Dauerbekifft fahren die entspannt und kommen auch ans Ziel.

Zwei schon ältere und fast schwerkranke Amerikaner. Die es schön finden ab und zu Gäste in ihrem Haus auf der Baja California zu empfangen. Einer kocht für uns und muss sich danach erstmal setzen, weil ihm die Anstrengung so zusetzt. Beide sorgen sich um ihre fünf Hunde, was aus ihnen wird wenn sie mal nicht mehr sind. Wieviel herz muss man haben, um trotz schwerer Krankheiten noch andere Leute versorgen zu wollen?

Ein Mann, der einen aus einer Plastikkiste selbstgebastelten Trailer hinter seinem Mountainbike herzieht. Er möchte drei Monate unterwegs sein. Er ist sehr langsam und kämpft stetig. Aber er strahlt ohne Ende.

 

 

 5. and 9. picture from Anna & Michael

 

Und dann natürlich enge Freundschaften die entstehen, wenn man fünf Monate 24 Stunden am Tag miteinander verbringt. Gemeinsam Berge erkämpft, Abfahrten genießt, kocht, isst, nebeneinander schläft, Sorgen sowie Freude teilt. Heute brachte ich Korinna hier in Mexiko City zum Flughafen. Wir beide konnten unsere große Ankunft hier nur halb genießen: Falsches Essen ließ uns unsere Freude trüben. Und heute war es dann sowieso emotional. Abschied nach fünf Monaten ist nicht leicht.

Korinna wäre gerne noch länger mitgefahren, freut sich aber natürlich sehr auf ihre Familie. Ein wunderbares Beispiel, dass man trotz Kinder solche Reisen erleben kann. Dass Korinna zwei Kinder hat, ließ alle beim Erzählen stets mit großen Augen  dreinblicken. Alles klappte wunderbar und dank Internet ist man ja nicht völlig aus der Welt.

Sie und auch viele andere beweisen: Man muss es nur wollen. Lösungen lassen sich fast immer finden.

 

Es sind die Menschen, die sich als wesentlicher Bestandteil des Reisens entpuppen. Ich lerne die verschiedensten Charaktere kennen. Die interessantesten Geschichten. Kleine und große Begegnungen. Mal für fünf Minuten am Straßenrand oder im Café. Mal für eine Woche. Mal für fünf Monate. Man erinnert sich oft nicht nur an Plätze oder Orte, sondern an die Menschen, welche wir mit diesen verknüpfen. Menschen und/oder starke Emotionen. Für mich ist es nicht die Baja mit der schönen Wüste, sondern die Baja, auf welcher ich schwitzte. Meinen ersten Platten flickte. Klebte. Fast jede Nacht in den Sternenhimmel schaute bis ich hundemüde einschlief.

 

Nun sitze ich in Mexiko City. Habe ein Woche Zeit zum Nachdenken. Die ersten fünf Monate Revue passieren lassen. Zeit zum Rohloff-Öl-Wechsel und Rad pflegen. Stadt anschauen. Lesen. Videos bearbeiten. Und auf den nächsten Mitreisenden warten, der in einer Woche kommt :-)

 

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Franzi (Mittwoch, 05 Oktober 2016 08:59)

    Super Eintrag :-)

  • #2

    Christin (Mittwoch, 05 Oktober 2016 11:09)

    Wundervolle Bilder, toller Text

  • #3

    Annika (Donnerstag, 06 Oktober 2016 22:57)

    Toooooll!! Genau darum geht es bei uns auch.
    Ich sehe von den Fotos ihr habt auch in el huerfanito Pause gemacht, genau auf der gleichen leerstehenden Terrasse wie wir!

  • #4

    Ulrich Magerl (Samstag, 15 Oktober 2016 21:43)

    Tolle Erlebnisse, die ihr nie in Eurem Leben vergessen werdet. Ich erinnere z.B. noch, dass ich mit meinem Vater im Mai 1991 den Grand Canyon in den USA in einem Tag zu Fuß von oben nach untern und dann wieder hoch geschafft habe. Am Ende waren wir beide fix und fertig. Wie er das im damaligen Alter von 47 Jahren untrainiert geschafft hat, frage ich mich noch heute. Ich würde es heute wohl nicht mehr schaffen. Aber gut, man wächst mit seinen Aufgaben...

    Weiterhin eine erlebnisreiche Tour wüsche ich Dir, liebe Anna, von ganzem Herzen.

    Ulrich