Geben und Nehmen.

'Geben und Nehmen' will gelernt sein. Bezieht sich diese Formel doch meist auf den Balanceakt zwischenmenschlicher Beziehungen, wurde sie für uns ein Leitsatz der Baja California. Und es ist nicht immer leicht beide Seiten gleichmäßig anzunehmen.

 

Die Baja ist die mexikanische Halbinsel, welche sich an das amerikanische Kalifornien anschließt. Sie ist bekannt für ihre wunderschönen Wüstenregionen und damit einhergehend - die Hitze.

 

Man kann nicht behaupten, dass wir nicht gewarnt wurden. Auch nicht nur einmal. In einem Radreiseführer stand über Radfahrer, welche die Baja im August fahren wollen 'Sado Maso'-Radler. Aber dennoch sind wir nicht die Ersten und auch nicht die Einzigen ;) Wir mussten nur lernen, dass wir die Dinge so akzeptieren müssen wie sie kommen und man nicht mehr mit normaler Reisegeschwindigkeit rechnen kann. Bei dieser Hitze ist das einfach nicht möglich.

 

Der Eintrag meines Logbuchs der ersten Tage sieht ungefähr so aus:

"Ich liege bei immer noch 35° C im Zelt. Es ist 21:30 Uhr. Ich habe nicht das Gefühl, dass es noch abkühlen wird. An erholsamen Schlaf ist kaum zu denken.

Ich klebe am ganzen Körper. Zu der dicken Salzschicht, die vom eigenen Schweiß auf der Haut liegt gesellt sich ein nicht minder dicker Staubfilm durch die heißen Wüstenwinde. Selbst unsere Feuchttücherdusche kann nur minder Abhilfe schaffen.

Ich habe ungefähr 5 Liter Wasser getrunken. Und ich reiße mich zusammen, denn ich könnte mehr trinken. Oder mir nochmal die Hände waschen, weil sie schon wieder eklig kleben. Aber es muss gespart werden. Denn es ist nicht immer klar, wann und wo man das nächste Wasser kriegt.

Der Wecker wird 4:45 Uhr klingeln. Sodass wir gegen halb sieben auf die Straße kommen, um wenigstens in den ersten Morgenstunden unter die 35°C Marke kommen."

 

Auf einem der wenigen Campgrounds schenken wir der Dame Glauben, als sie uns sagt, das Wasser hier sei aus Bergquellen und somit Trinkwasser. Die Faulheit nochmal zum letzten Shop zu fahren und Trinkwasser zu kaufen siegt. Wir entscheiden, dass nur einer probiert und am nächsten Morgen liege ich für zwei Tage flach und besuche zu oft das Klo. (Man lernt nur aus eigener - zugegeben dummer- Erfahrung. Besonders wenn sie schmerzlich ist).

Einen Tag später bricht mein Fahrradständer. Kein Weltuntergang, aber nervig.

Einen Tag später beginnt die Rohloff Öl zu verlieren. Keine kurzfristigen Sorgen, aber langfristig sollte ich mir Gedanken machen.

Einen Tag später: Der erste Platten. Und das am heißesten Tag bisher. Zum Glück stehen wir an einer Tankstelle und können das Ding im Schatten wechseln. Zwei Männer kommen sofort angerannt und wollen uns helfen. Bringen Wasser und Seife für die Suche nach dem Loch. Aber das wollen wir alleine schaffen. Ihrer angebotenen Hilfe beraubt, schauen sie uns dann einfach zu ;)

(Da dies der erste Platten meines Lebens war den ich mit Korinna zusammen flickte, gibts davon noch nen lustiges Video. Falls ich demnächst zuviel Zeit haben sollte, werde ich das sowie ein paar andere schöne filmische Aufnahmen mal zusammen schmeißen und online stellen.)

Durch die ganze Aufregung und die Hitze, die jeden Appetit killt, 'vergesse' ich doch tatsächlich zu essen. Kaum wieder auf den Rädern bei wohlbemerkten 54 °C, merke ich beim Strampeln, dass meine Sinne schwinden. Es kriselt vor meinen Augen. Schnell am nächsten Schattenfitzelchen angehalten. Und: ein Engel erscheint und bringt uns Cola mit Eiswürfeln, die er gerade selber in der 1 km entfernten Tankstelle zu Fuß geholt hat. Wir gehen in seine garagenähnlichen 'Behausung' und sollen seinen frisch geborenen "Jesus" bestaunen. Mutter und Baby strahlen uns an, während sie auf einer Matratze mitten in der Garage hocken. Wir sind gerührt von dieser sprichtwörtlichen Nächstenliebe.

Aber wir müssen weiter um endlich die Stadt zu erreichen, die wir in den letzten 4 Tagen anpeilten. San Felipe liegt am Meer und kaum fahren wir den Hügel hinab, merke ich die nun noch dazu kommende Luftfeuchtigkeit. Am erstbesten Hotel angehalten, steige ich ab und kippe erneut fast um. Der plötzlich ausbleibende Fahrtwind ist zuviel für mich. Ich krieche in das gekühlte Hotel und wir gönnen uns den nächsten Tag als Bummeltag. What a day.

 

 

Wir entschieden uns bereits vorher für die abgeschiedenere Route, landschaftlich schöner und abwechslungsreicher. Dafür heißer - und eben abgeschieden. Das heißt auch, weniger Möglichkeiten zum Auftanken. Wasser wird ein zentrales und tägliches Thema. Auch mit Anna und Michael, die wir in der USA kennenlernten und nun wiedertreffen, stellen wir fest, dass wir uns plötzlich auf drei existentielle Nöte des Menschen reduziert sehen: Wasser, Essen und Unterkunft. Wasser, welches wir in hohen Summen benötigen. Und man nicht immer weiß, wo man welches bekommt. Es ist off-Season und viele der Shops haben geschlossen. Nicht hinter jedem Dorf was sich auf der Karte befindet, verbergen sich Menschen. Manchmal erscheint alles ausgestorben. Wir versuchen stets mit geschlossenem Mund zu fahren, um nicht unnötig auszutrocknen. Schlafplätze erfragen wir uns. Duschen definieren sich oft als Plastikbecher, mit dem man aus einer Tonne Wasser schöpft um sich dieses dann über den Körper zu gießen.

Spannend zu merken, wie plötzlich diese Grundnöte unsere Gedanken bestimmen. Wasserliter werden gezählt und überlegt wie weit wir kommen, die wenigen Autos die uns passieren manchmal angehalten, um Wasser zu erbetteln.

 

Und die dunkle Wolke breitet sich aus.

Der Gegenwind welcher uns häufig auf der Baja begleitet wird an einem Tag so stürmisch, dass wir in krasser Schräglage fahren. Korinna und mir wird auf einer Hügelkuppe wortwörtlich das Rad aus der Hand gerissen. Wir kriegen es kaum noch aufgerichtet. Bei der Abfahrt haben wir Angst umgerissen zu werden, schleichen also nur so dahin. Und als Korinnas Rad erneut kippt und Michael ihr aufhelfen will, kippt auch seines und sein Spiegel sowie eine Ortlieb Halterung brechen ab. Wenige Tage später hat Korinna ihren ersten Platten. Und auch Anna verliert ihren Rückspiegel.

 

Das letzte Stück der Route ist ungeteert und gespickt mit großen Steinen. Nicht leicht zu fahren. Und ein weiterer Test für unsere Räder sowie Ausrüstung. Ich verliere eine Schraube der Ortliebhalterung. Eine Flasche in Korinnas Tasche platzt und ihr Daunenschlafsack ist komplett nass.

 

Wann endet dieser Test?

 

 

Aber die Baja nimmt nicht nur, sie gibt auch zurück. Und das nicht wenig.

 

Sonnenauf-, und -untergänge. Über dem Meer, über der Wüste. In unglaublichen Farben.

Klare Sternennächte, die wir fast immer ohne Zelt genießen.

Landschaften, welche auf dem ersten Blick karg erscheinen. Sich aber als unglaublich facetten- und farbenreich entfalten.

Allgemein soviele schöne Farbenpracht. Häuser, Wände, Fliesen usw.

Und die langen Stunden des einfach nur Daliegens. Im Halbschatten. Nicht fähig, sich zu sehr zu bewegen. Dösen. Lesen.

Und es macht einfach Spaß.

 

Und das Wichtigste: Die Engel dieser Welt.

Menschen, die im richtigen Augenblick auftauchen. Einem einfach so Cola bringen. Oder vier abgekämpfte, schweißüberströmte Radler sehen und einen einladen, im aktuell leer stehenden Nachbarhaus zu residieren. Einem den ganzen Tag über zu hupen, zu winken, die Daumen raus strecken, was ungemein motiviert. Sodass wir kaum unseren Lenker halten können, weil wir soviel mit Grüßen beschäftigt sind. Familien, die einen in ein Haus aufnehmen, in welchem sie zu sechst mit zwei Schlafzimmern leben. Autos die anhalten, um zu fragen, ob alles in Ordnung ist und ob wir Wasser brauchen. Menschen, die selber krank sind oder auf zwei Stümpfen laufen, einen dennoch bekochen oder sich Lösungen einfallen lassen, um beispielsweise zwei Spiegel wieder anzubringen. Engel, die einen einladen, damit wir mal wieder in einem Bett schlafen dürfen und eine ordentliche Dusche haben.

Teilweise ist es gar nicht so leicht alles anzunehmen. Die Zeit wird knapper bis Korinna ihren Flug von Mexiko City gen Heimat antritt. Und wir wollen noch aufs Festland und dort radeln. So muss über jeden Restday entschieden werden, ist es auch noch so verlockend. Denn wir können auch pro Tag nicht mehr soviele Kilometer fahren wie sonst. Denn die Hitze lässt einen einfach nicht. Aber genau hier haben wir eben auch gelernt, 'nehmen' zu können :-) Denn solche Gelegenheiten bekommt man eben nicht jeden Tag. Und dann eben doch ein paar Teilstücke zu trampen oder den Bus zu nehmen.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Jenny (Donnerstag, 15 September 2016 19:48)

    Ich bewundere euch und finde es toll. Ich bestaune die Fotos und lese und denke. Danke und noch ganz, ganz viel Kraft!!!