Kleine Kämpfe.

Über die kleinen Kämpfe des Reisealltags.

Mit meinem Körper und meinem Kopf. Mit der amerikanischen XXL-Kultur. Mit deutscher Bürokratie. Mit überlebenswichtigen Utensilien. Mit den Extremen. Kleine Geschichten aus dem Reisealltag, die manchmal nerven, aber das Gesamterlebnis dennoch nicht trüben können.

 

 

Drei bis vier laute Knackse. Okay – es ist zumindest gut zu sterben, während man seine Träume lebt. Das ging mir durch den Kopf während ein Chiropraktiker an meiner Halswirbelsäule arbeitete und ich vor lauter Schreck dachte, er würde mein Genick brechen. Aber das sollte helfen. Nach insgesamt zweiwöchiger Pause kamen wir endlich wieder aufs Rad. Was für eine Freude.

 

 

Aber ich erzähle mal lieber der Reihe nach:

 

Nach eine Woche Pause in Victoria schipperten wir mit der Fähre nach Port Angeles. Leider tat sich bis dato überhaupt nichts an meinem Körper. Die Schmerzen waren stark, sehr stark sogar. Mir liefen teilweise Tränen über die Wangen weil es so stechend und chronisch war. Mittlerweile sogar allgegenwärtig, nicht nur auf dem Rad. Die Tränen kamen aber nicht nur aufgrund der körperlichen Misere, es war auch mein Geist der zornig war, rebellierte. Wie kann das passieren? Keine wirkliche Ursache zu erkennen, nur Vermutungen. Beckenschiefstand, welcher die Schmerzen auslöst? Zuviel Gepäck bzw. Gewicht am Vorderrad? Man weiß es nicht. Es war nur klar, dass dies langsam mein Vorhaben gefährdete. Bob, ein Warmshowers-Host (falls ihr das nicht kennt – ein ander Mal mehr dazu), an den wir wiederrum durch die Leute in Victoria „weiter gereicht“ wurden, machte mir kurzerhand einen Termin bei einem Chiropraktiker. Dazu noch eine Massage von einem befreundeten Physiotherapeuten und es kam endlich die ersehnte Besserung. Dazu trug wohl auch bei, dass diese Woche in Port Angeles einfach genial war. Soul filling. Wieder einmal warme, herzliche Menschen hoch drei an welche wir gerieten. Bob stellte uns gleich am ersten Tag der ganzen Kleinstadt vor, sodass wir dann kurzerhand mit vielen tollen Menschen eine Wahnsinns Zeit und ein cooles Festival erleben durften. Viel Wein, Sonne, unterschiedlichste live Musik, Kunst, Strand, Lachen und endlich mal wieder den Körper zur Musik bewegen zu dürfen füllten meine Seele wieder auf. Und mein Hirn kam zu folgender Feststellung: Einfach mal die Dinge nehmen wie sie kommen. Aufhören dagegen anzukämpfen. Wäre die Schulter nicht gewesen, hätten wir niemals diese tolle Woche in Port Angeles erlebt.

 

XXL Produkte in XXL Supermärkten. Kleine Ortliebtaschen mit wenig Platz. Zwei ständig hungrige Frauen, die möglichst wenig Gewicht transportieren wollen. Suche den Fehler. Die kleinste Verpackung an Eiern misst 12, manchmal 24 an der Zahl. Ein weiterer Schock: 8 US $ (ca. 7 €) für 40 Tampons. Hallo? Jetzt werde ich doppelt bestraft. Ich habe mir das echt nicht ausgesucht einmal im Monat krümmend vor Schmerzen da zu liegen.

 

o2 hat sich als Riese in der Telekommunikationsbranche stark entwickelt und geht mit der Zeit des 21. Jahrhunderts: Sie bevorzugen Briefe als Kommunikationsmittel. Emails? Nichts da. Hotline für mich durch die Zeitdifferenz schwer zu erreichen. 6 Wochen vor Abreise fragte ich nach, wie es mit einer Vertragsstillegung funktioniert. Angeblich nur 2 Wochen vorher ein Formular ausfüllen und gut ist. Gesagt, getan. Naja, es hat nun 6 Wochen gedauert. In dieser Zeit zahlte ich natürlich brav meine 35 € pro Monat weiter und dafür kostete mich die Stilllegung auch nur 30 € extra. Abgesehen von der Zeit die ich investierte, den Mühen die ich hatte um die Herrschaften mehrmals in Deutschland zu kontaktieren und den Nerven die es mich kostete.

 

Was ich den ganzen Tag so mache außer Radeln und mich des Lebens freuen? Ab und zu mal meinen Benzinkocher auseinander bauen oder auch mal kurz davor sein den gegen die Wand zu klatschen. Eine Zicke vom Herrn. Ständig kurz vorm Ausgehen. Die Flamme zu klein und nicht stark genug. Benzinkocher sind meist eher nicht klein zu kriegen, eher zu stark beim Kochen als zu schwach. Nach etlichen Stunden des Aufschraubens, Dichtungen checkens, Grübelns, Pumpenkopf ersetzen, Ärgern und nach-Benzin-Riechens war ich kurz davor Optimus eine deftige Mail zu schreiben. Hat mich der ganze Spaß ja nun auch nicht gerade wenig Geld gekostet mit Flaschen, Reparaturkit usw. Aber wie es scheint, hat Frau nun doch endlich die Ursache des Übels gefunden: ein kleiner Filter, den scheinbar eigentlich niemand braucht. Heraus genommen und das Ding feuert um sein Leben. Kampf gewonnen. Soweit zumindest.

 

 

Hügel ohne Ende in Sicht, 36 °C und pralle Sonne. In meinem Kopf die Szene, wie ich gleich nach rechts umkippe. Hitzeschock. Auch wenn mir bewusst ist, dass diese und noch heißere Tage wohl noch normal werden je weiter südlich wir kommen, muss man sich doch erst daran gewöhnen. Aber sie hat durchgehalten. Und am Ende des Tages die Belohnung: Zwei verrückte Hühner sehen uns, fragen was wir machen und wohin wir fahren. Stecken uns kurzerhand in ihre Kayaks. Kaum zurück gekommen lassen sie leckere, selbstgemachte Köstlichkeiten, Bier und Schokolade mit dem gewissen Extra da. Einfach nur so.

 

Zwei Tage später das andere Extrem: Klitschenass bis auf die Haut, mir ist kalt, ich habe Hunger, die Hügel kommen in Sichtweite und aufgeweichte Wiesen als Zeltplatz in Ausschau. Läuft. Kurzerhand haben wir uns dann unter den Vorstand der Zeltplatz-Toiletten gestellt, Wein aufgemacht und einen verdammt lustigen Abend zu zweit gehabt. Man beginnt sich über Kleinigkeiten zu freuen, wie der kaputte Münzeinwerfer für die heiße Dusche, der ohne Münze funktioniert.

 

Und all das sind die kleinen Kämpfe bis jetzt. Und diese formen unsere Tage sowie die Reise und können den weit überwiegenden positiven Eindrücken und Erlebnissen nicht im geringsten etwas antun. Und ich bin sicher das weitere kleinere und große Kämpfe folgen werden.

 

Ach und ihr lieben alle: Habt Dank für euere Kommentare!!! Ich freue mich sehr über jeden einzelnen.

 

Statistik so far:

 

  • 1400 km --> kleine große Freude nach der ersten Schnapszahl 1111 km :D
  • immer noch kein Platten oder dergleichen
  • die Schmerzen sind leider immer noch Begleiter, allerdings nicht so stark und nicht mehr chronisch

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Kommentare: 4
  • #1

    Montse Chang (Donnerstag, 16 Juni 2016 22:29)

    You are indeed a Radmächen!

    So lovely to meet you, wish you the best on your travels, be safe and keep in mind that if you need something (while you are in Mexico) You can message me.

    Viele Grüsse

  • #2

    Jemand (Freitag, 17 Juni 2016)

    Ein tolles Abenteuer, ich hoffe ihr trefft noch viele großartige Menschen. Es regt zum nachdenken an, und säht den Drang zum Ausbrechen.

  • #3

    Fischers aus Halle (Sonntag, 19 Juni 2016 22:11)

    es schön deine Berichte zu lesen. Sie sind sehr anregend und wunderschön geschrieben.
    Auch wenns mal nicht so gut geht "einfach immer weiterradeln" (Tobis Weisheit aus alten Radlertagen ,-).
    Wir bleiben dran und freuen uns auf jede neue Zeile.

    Deine Fischerbande aus Halle

  • #4

    Ikke (Montag, 11 Juli 2016 23:03)

    Hej Anna,
    Kopf hoch und gute Besserung! Ich musste bei deiner Erkenntnis: einfach die Dinge mal so nehmen, wie sie kommen, herzlich schmunzeln.
    Erfahre dich weiter mit diesen kleinen Überraschungen, auch wenn es mal zwickt ;) leider kann ich dir nicht helfen, aber wenn es nochmal zwickt, ich schreibe dir gern.
    Ansonsten genieße, genieße und schreibe weiter, wenn du Zeit findest, deine Gedanken kurz festzuhalten und uns Teil haben zu lassen.
    Ich freue mich echt wahnsinnig für dich,

    Gut Rad!